Ahmed Awadalla

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Er ist eine Minderheit in der Minderheit: Wie Awadalla sich vom Geflüchteten zum Community-Aktivisten kämpft. Awadalla ist es gewohnt, nicht...

Er ist eine Minderheit in der Minderheit: Wie Awadalla sich vom Geflüchteten zum Community-Aktivisten kämpft.

Awadalla ist es gewohnt, nicht der Masse, nicht dem Strom zu entsprechen. Er kommt aus Ägypten, einem konservativen Land, in dem Homosexualität weder offen thematisiert noch gesellschaftlich akzeptiert wird. Trotzdem bleibt er lange standfest und erarbeitet sich eine Existenz als Aktivist in seiner Gemeinde. Der studierte Pharmazeut beginnt, sich in den Geflüchteten-Communities in Ägypten und bei lokalen Jugendlichen zu engagieren. Er arbeitet vor allem mit Menschen aus dem Sudan, Eritrea und Äthiopien, später auch mit Syrer:innen. Er klärt sie über sexuelle Gesundheit auf und hilft ihnen, denjenigen, die innerhalb der Minderheit der Geflüchteten nochmals marginalisiert sind, den queeren Geflüchteten.

Awadalla unterstützt viele Menschen, er lernt und forscht, er schreibt und betreibt sogar einen eigenen Blog. Doch damit bringt er sich auch immer mehr in Gefahr. Denn seine Arbeit ist riskant, er thematisiert Tabuthemen und hilft denen, die sich am äußersten Rand der ägyptischen Gesellschaft befinden. 

Mit dem arabischen Frühling hält eine restriktivere, konservativere Regierung in Kairo Einzug und macht es Awadalla noch schwieriger, seiner Arbeit nachzugehen. Als er im November 2014 die Einladung zu einer Konferenz zum Thema sexuelle Gesundheit in Berlin erhält, muss er sich schnell entscheiden: In Ägypten weiterhin ständigen Gefahren ausgesetzt sein, doch seine Arbeit fortsetzen oder die Gunst der Stunde nutzen und woanders ein neues Leben beginnen?

Als er ins Flugzeug Richtung Deutschland steigt, weiß er, dass er sein Heimatland für immer verlassen wird. Denn Awadalla hat eine Entscheidung getroffen: Er will sich in Berlin ein neues Leben aufbauen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Berlin im November ist alles andere als schön, alles andere als ein Willkommensfest erwartet ihn hier. Er beantragt Asyl und muss mehrere Monate in einer zu einer Gemeinschaftsunterkunft umfunktionierten Turnhalle in Marzahn ohne jegliche Privatsphäre leben. Während er in Ägypten einen Job und einen Leben hatte, muss er sich in Berlin alles Schritt für Schritt neu erkämpfen. Er beginnt, Deutsch zu lernen und sich ehrenamtlich zu engagieren. 

Bei der Berliner Aidshilfe beginnt er seine in Ägypten begonnene Arbeit der sexuellen Aufklärung und Gesundheitsberatung für queere Geflüchtete fortzusetzen. Dort braucht man ihn, denn knapp ein Jahr nach Awadallas Ankunft in Berlin, im Herbst 2015, kommen auf einmal täglich Tausende Menschen aus Syrien und dem Irak in der Hauptstadt an. Awadalla spricht nicht nur ihre Sprache und ist einer von ihnen, sondern kann auch auf jahrelange Erfahrung in der Arbeit mit Geflüchteten in seinem Heimatland zurückgreifen. 

Anfang 2016, kurz nachdem er nach einem langen Jahr des Wartens endlich seinen Asylbescheid in der Hand hält und sein Leben in Berlin richtig beginnen kann, bekommt er ein Jobangebot der Berliner Aidshilfe. Seitdem ist er angekommen. Mittlerweile lebt Awadalla nicht mehr in der Gemeinschaftsunterkunft. Auch sein Deutsch ist gut und er fühlt sich nach knapp acht Jahren im Dschungel Berlins heimisch. Vor allem, weil er hier endlich er selbst sein, er seine Arbeit risikofrei ausüben und anderen Menschen helfen kann. 

Doch Corona hat viel verändert. Die Lockdowns brachten das so bunte kulturelle Leben der Hauptstadt zum Erliegen und damit auch die wichtigsten Treffpunkte für Awadallas Community: Die queeren Geflüchteten, die Minderheit in der Minderheit. Denn nicht nur haben sie kein Netzwerk von Familie und Freund:innen, die ihnen in der erzwungenen Einsamkeit beistehen konnten, sondern können sie auch in der Geflüchtetengemeinschaft oft keinerlei Unterstützung erwarten. Awadalla hat viele seiner Bekannten in der Zeit der Lockdowns begleitet und viel Leid beobachtet. Besonders die mentale Gesundheit litt bei vielen, bei einigen noch bis heute, obwohl Clubs und Kneipen schon lange wieder geöffnet haben. Doch etwas Gutes hatte die Pandemie seiner Meinung nach schon für die queere Szene in Berlin: Sie hat noch einmal mehr aufgezeigt, wie wichtig der Erhalt der eigenen Gesundheit ist. Und inwiefern das eigene Verhalten ganz schnell einen Einfluss auf viele andere Menschen haben kann. 

Awadalla nimmt viele seiner Erfahrungen mit in Forschungs- und Schreibprojekte. Er schreibt immer noch, mittlerweile aber nicht mehr für seinen eigenen Blog, sondern für verschiedene Online-Magazine, Doch wünscht er sich nun immer mehr ein theoretisches Fundament für seine vielfältigen Interessens- und Erfahrungsgebiete. Vor einiger Zeit bewarb er sich in Berlin für den Masterstudiengang „Global Health“, doch wurde abgelehnt. Nun fand er seinen Traumstudiengang, den Master in „Health History“ an der University of Glasgow. Angenommen wurde er bereits, nun fehlt nur noch das Geld für die Studiengebühren, sowie seine Lebenshaltungskosten vor Ort für ein Jahr. Mit einer GoFundMe-Kampagne möchte er die fehlenden Mittel nun sammeln. 

Awadalla hat bereits viel hinter sich, doch er blickt auch voller Freude in die Zukunft. Es gibt noch so viel zu lernen, so viel zu forschen, so viel zu tun. Auch wenn er träumt, an seinen Master gleich noch einen PhD dranzuhängen, möchte er seine Community-Arbeit nicht ganz an den Nagel hängen. Er möchte weiterhin für seine Gemeinschaft, die Minderheit in der Minderheit da sein, sein Wissen an sie weitergeben und ihr helfen, sich langfristig zu stärken, füreinander da zu sein und gesundheitliche Risiken zu minimieren. 

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